Mannheim, den 2. April 2008
Neuordnung des Landesdisziplinarrechts
Gesetzentwurf des Innenministeriums vom 27.07.2007
Sehr
geehrte Damen und Herren,
von
der SPD-Fraktion wurde ich um unsere Stellungnahme zur Neuordnung des
Disziplinarrechts gebeten. Daher möchte ich auch Ihnen die Position der
Verwaltungsrichterschaft zu dem Gesetzentwurf mitteilen und danke Ihnen
sehr herzlich für die Kenntnisnahme.
Besonders wichtig ist uns, dass der Gesetzgeber die praktischen
Erfahrungen aus der Gerichtspraxis aufnimmt, die das Innenministerium
für den Gesetzentwurf nicht erfragt und berücksichtigt hat. Dabei teilen
wir das Interesse der Innenverwaltung an einer schnellen und effektiven
Sanktionierung von Disziplinarvergehen, um die Funktionsfähigkeit und
Integrität des öffentlichen Dienstes zu sichern.
Wir
haben den Gesetzentwurf vom Innenministerium am 27.07.2007 im Rahmen der
Verbände-Anhörung übersandt bekommen und am 18.09.2007 hierzu Stellung
genommen. Diese Stellungnahme füge ich als Anlage bei. An weiteren
Beratungen des Entwurfs sind wir nicht beteiligt worden. Die wichtigsten
Gesichtspunkte möchte ich hier noch einmal kurz hervorheben. Wegen der
Einzelheiten verweise ich auf meine beigefügte
Stellungnahme vom 18.09.2007.
1.
Keine Angleichung an das Bundesrecht
Die
Verwaltungsgerichte haben viele Jahre auf eine Novellierung des
Disziplinarrechts in Anlehnung an das Bundesdisziplinargesetz (BDG)
gehofft, das sich seit 2001 in der Gerichtspraxis bewährt hat. Hohe
Priorität hat für das Innenministerium stattdessen die Abweichung vom
Bundesrecht. Hierfür mag zwar vordergründig sprechen, dass die Länder
durch die Föderalismusreform zur eigenständigen Neuregelung fast des
gesamten Beamtenrechts ermächtigt und damit „aufgerufen“ erscheinen.
Damit wird jedoch nicht nach dem Sinn der abweichenden Regelung gefragt,
sondern die Abweichung um der Abweichung willen, also „um jeden Preis“,
zum Entscheidungskriterium gemacht. Ein sachliches Kriterium ist dies
nicht. Demgegenüber haben wir auf die Erfahrung hingewiesen, dass sich
das Bundesrecht in der (richterlichen) Praxis bewährt hat, dass damit
gleichzeitig viele Rechtsfragen geklärt sind und keine
verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Die Rechtsklarheit und die
damit verbundene Beschleunigung sind sachliche Kriterien, die im
Interesse des Dienstherrn und des Gesetzgebers liegen und aus der Sicht
der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Leitlinie der Gesetzesnovelle sein
sollten.
2.
Zuständigkeitskonzentration beim VG Stuttgart
In
organisatorischer Hinsicht sind die Verwaltungsgerichte von der
Zuständigkeitskonzentration beim VG Stuttgart und der Abschaffung der
Zuständigkeit der anderen drei Verwaltungsgerichte betroffen. Die
Abschaffung der bewährten „kundenfreundlichen“ Zuständigkeitsregelung
mit nachweislich kurzen Bearbeitungszeiten und kurzen Wegen für alle –
die betroffenen Beamten, Beisitzer, Behördenvertreter und Zeugen – ist
nicht einzusehen (ausführlich hierzu
S. 11 f.
der Stellungnahme).
3.
Abschaffung der Disziplinargewalt der Verwaltungsgerichte
Die
Disziplinargewalt der Verwaltungsgerichte sollte nicht, wie es der
Gesetzentwurf vorsieht, abgeschafft, sondern im bisherigen Umfang bei
den Verwaltungsgerichten belassen werden.
Zunächst bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, dass die
Abschaffung der gerichtlichen Disziplinargewalt mit Art. 33 Abs. 5 GG
kollidiert. Das Disziplinarrecht zählt zu den hergebrachten Grundsätzen
des Berufsbeamtentums (vgl. BVerfGE 7, 129; 15, 105; 37, 167; BVerwGE
103, 70). Zu den tragenden Strukturelementen des Disziplinarrechts
gehört wiederum die gerichtliche Disziplinargewalt. Neutrale Stellen und
nicht die betroffenen Dienstvorgesetzten sollen danach über die
Zurückstufung oder Beendigung des Dienstverhältnisses entscheiden. Diese
beiden Maßnahmen waren teilweise schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts
den Gerichten vorbehalten. Wir sehen hier ein erhebliches
verfassungsrechtliches Risiko, das in jedem Fall zu einer langwierigen
Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht und das
Bundesverfassungsgericht und damit auf Jahre hinaus zu einer ungeklärten
Rechtslage führen wird. Weitere Literaturstellen für dieses Risiko
können gerne benannt werden.
Hinzu kommen praktische Bedenken. Der Gesetzentwurf entzieht den
Disziplinargerichten als neutralen Stellen die Disziplinargewalt und die
damit verbundene Gestaltungsmacht. Die Möglichkeiten der
disziplinargerichtlichen Korrektur formell oder materiell rechtwidriger
Maßnahmen beschränkt der Entwurf auf die Kassation des
Disziplinarverwaltungsakt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Entscheidet sich
der Dienstvorgesetzte für die falsche Disziplinarmaßnahme oder geht er
bei einem Teil der Vorwürfe zu Unrecht vom Vorliegen eines
Dienstvergehens aus, ist eine Heilung ausgeschlossen. In diesem Fall
muss nach dem Gesetzentwurf die fehlerhafte Disziplinarverfügung
kassiert werden und anschließend das Disziplinarverfahren von vorn
beginnen. Dies führt zu einer erheblichen Verzögerung. Wirkt sich der
Fehler zugunsten des Beamten aus, muss nach dem Entwurf die Klage des
Beamten abgewiesen werden und es bleibt bei der unangemessen milden
Disziplinarverfügung. Beides liegt nicht im Interesse der zügigen und
gerechten Ahndung von Disziplinarverfehlungen.
Unsere Bedenken werden auch dann nicht ausgeräumt, wenn den Gerichten –
strukturwidrig – die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, die
behördliche Disziplinarverfügung bei Ermessensfehlern abzumildern. Die
gleichmäßige und gerechte Sanktionierung von Dienstvergehen ist nur dann
gewährleistet, wenn die Disziplinargewalt der Verwaltungsgerichte
beibehalten wird; eine Selbstkontrolle zur Vereinheitlichung der
Spruchpraxis der Dienstvorgesetzten in der gesamten Landesverwaltung ist
nicht vorgesehen. Dass Dienstherr und Beamter weiter miteinander
auskommen müssen und der Dienstherr auch gegenüber anderen Beamten die
Disziplinarentscheidung zu vertreten hat, spricht nicht gegen die eigene
Disziplinargewalt der Verwaltungsgerichte; dies wird schon bisher bei
der Bemessung der Disziplinarmaßnahme berücksichtigt. Die einheitliche
Rechtsanwendung spricht also in jedem Falle für die Beibehaltung der
gerichtlichen Disziplinargewalt.
4.
Disziplinargewalt der unteren Disziplinarbehörden/Ermittlungsführer
Der
Gesetzentwurf schafft den neutralen Ermittler des Sachverhalts, den
Untersuchungsführer, ebenfalls ab und weist stattdessen sowohl die
Befugnis, den Sachverhalt zu ermitteln, als auch die Befugnis, die
angemessene Disziplinarmaßnahme zu festzusetzen, der Disziplinarbehörde
zu, also in der Regel dem Dienstvorgesetzten.
Nach
der Erfahrung der disziplinargerichtlichen Praxis waren die
Disziplinarbehörden bereits in der Vergangenheit vielfach mit der
disziplinarrechtlichen Materie überfordert und sind häufig spät,
teilweise zu spät disziplinarisch eingeschritten. Diese Tendenz wird
sich voraussichtlich verstärken, wenn die Ämter des Vertreters der
Einleitungsbehörde und des Untersuchungsführers abgeschafft und die
Disziplinarbefugnisse der Dienstvorgesetzten gleichzeitig erhöht werden.
Auch wenn das Disziplinarrecht mit der Novelle einfacher und
übersichtlicher werden soll, liegen die Sachkunde und juristische
Vorbildung des Ermittlungsführers und die Distanz des letztlich
entscheidungsbefugten Disziplinarvorgesetzten im Interesse eines
beschleunigten Disziplinarverfahrens. Die hier im Vorfeld der
Disziplinarverfügung gewonnene Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens
schlägt sich in einem deutlich höheren Ermittlungs- und Zeitaufwand der
Verwaltungsgerichte nieder. Geraten die behördlichen Ermittlungen zu
oberflächlich, so müssen sie entweder im gerichtlichen oder nach
Kassation der fehlerhaften Entscheidung in einem erneuten
Behördenverfahren nachgeholt werden.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Dienstvorgesetzten als die
sachnächsten Personen, wie die Gerichtspraxis gezeigt hat, nicht immer
das gleiche Interesse an der Verfolgung von Dienstvergehen haben. Oft
ist der Dienstvorgesetzte nicht neutral. Er muss bei innerbehördlichen
Konflikten Partei ergreifen und kann die Entwicklung im Personalbereich
seiner Behörde durch Dienstentfernung oder Degradierung beeinflussen.
Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass die
Disziplinarverfügungen regelmäßig akzeptiert und bestandskräftig werden.
Mit
freundlichen Grüßen
Dr.
Christian Heckel
Richter am VGH
Anlage:
Stellungnahme vom 18.09.2007
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