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Mannheim, 18.09.2007

Innenministerium                                                                         

Baden-Württemberg

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70020 Stuttgart

 

 

 

 

 

 

Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts

Ihr Schreiben vom 27.07.2007

Ihr Az.; 1-0316.2/17

 

 

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

für die Übersendung des oben genannten Gesetzentwurfs bedanke ich mich im Namen des Vereins der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter Baden-Württemberg. Aus der Sicht unseres Vereins ist zu dem Gesetzentwurf folgendes zu bemerken:

 

 

I. Allgemeines

 

Das (Landes-)Disziplinarrecht kann seine Funktion, Sicherung der Funktionsfähigkeit und Integrität des öffentlichen Dienstes, nur erfüllen, wenn sein rechtliches Instrumentarium den Dienstherrn in die Lage versetzt, Konflikte, die durch Fehlverhalten von Beamten und Missstände in Behörden ausgelöst werden, zu klären und schnell, effektiv und unter Beachtung seiner Fürsorgepflicht zu lösen. Diesem Zweck widersprechen langwierige behördliche Disziplinarverfahren, wie sie in der bisherigen landesdisziplinarrechtlichen Praxis immer wieder vorkommen. Die Optimierung des Landesdisziplinarrechts mit dem Ziel der Verhinderung unangemessen langer Laufzeiten ist daher zu begrüßen. Dabei sollte aber an den richtigen Punkten angesetzt werden, wenn eine Beschleunigung des Disziplinarverfahrens erreicht werden soll. Ob dazu mit dem nun vorgelegten LDNOG-Entwurf vom 4.7.2007 ein brauchbarer Vorschlag gemacht wurde, erscheint uns zweifelhaft.

 

 

II. Im Einzelnen

 

1. Zu Art. 1 § 2 LDNOG-Entwurf

a) Die Anwendung des LVwVfG und der VwGO anstelle der Strafprozessordnung ist zu begrüßen, soweit elementare Schutzfunktionen erhalten bleiben. Sie vermeidet gerade auch im gerichtlichen Verfahren unnötigen Aufwand, wenn zum Beispiel Berichterstatter oder Einzelrichter anstelle der kompletten Kammer handeln können. Dies ist nach der LDO ausgeschlossen. Zu überlegen wäre daher folgende Ergänzung: Anwendung der VwGO „soweit disziplinarrechtliche Grundsätze nicht entgegenstehen“. Dadurch könnte vermieden werden, dass Normen zur Anwendung kommen, die mit den Grundsätzen des Disziplinarrechts nicht zu vereinbaren sind. Zum Beispiel dürfte das Ruhen des Verfahrens nach § 173 VwGO in Verbindung mit § 251 ZPO dem disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebot widersprechen. Die Anwendung der Präklusionsvorschriften in § 87b Abs. 3 VwGO dürfte mit den Grundsätzen des Disziplinarrechts (z.B. der „in dubio pro reo“ Grundsatz, siehe zur Anwendbarkeit im Disziplinarverfahren: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.8.1989 - DH 25/88 -; weiter z.B. der Grundsatz, dass der Beamte das Recht hat, zum Vorwurf zu schweigen) nicht zu vereinbaren sein. Mit dem Recht, zum Vorwurf zu schweigen, dürfte auch die fiktive Klagrücknahme nach § 92 Abs. 2 VwGO wegen Verletzung der Betreibenspflicht nicht zu vereinbaren sein.

 

b) Die Ausgliederung der prozessrechtlichen Bestimmungen mit Ausnahme von § 37 Abs. 3 LDNOG-Entwurf in das AGVwGO überzeugt aus systematischen Gründen nicht. Die Verfrachtung wesentlicher prozessrechtlicher Normen in das Ausführungsgesetz wird die Rechtsfindung und -anwendung in der disziplinarrechtlichen Praxis behindern. Nach dem Bericht des Staatsanzeigers vom 13.8.2007 erreicht der Entwurf mit der Ausgliederung eine Kürzung des jetzt gültigen Gesetzes mit 131 Paragrafen auf dann nur noch 43 Paragrafen. Dieser gesetzeskosmetische Denkansatz ist aus der Sicht des Modernisierers verständlich und vermutlich auch populär, sollte aber letztlich nicht den Ausschlag geben. Die prozessualen disziplinarischen Regelungen sollten unter Hinnahme der dann gegebenen „Paragrafenmenge“ im künftigen LDG angesiedelt bleiben.

 

2. Zu Art. 1 § 7 LDNOG-Entwurf

Es erscheint bedenklich, dass der LDNOG-Entwurf die Abschaffung der Disziplinargewalt der Disziplinargerichte vorschlägt. Es sollte erwogen werden, die Disziplinargewalt bei den Gerichten im hergebrachten Umfang zu belassen. Die Verfassungsmäßigkeit der Abschaffung der gerichtlichen Disziplinargewalt sollte eingehend geprüft werden, um Probleme nach Nichtigerklärung der Norm sicher zu vermeiden.

 

Auf Seite 4 der Begründung zum Entwurf heißt es dazu: „Künftig sollen sämtliche Disziplinarmaßnahmen durch Disziplinarverfügung des Dienstherrn ausgesprochen werden. Die besondere Disziplinarklage des Dienstherrn und die darauf ergehende originäre gerichtliche Entscheidung werden nicht mehr erforderlich sein.“ Auf Seite 93 der Begründung wird weiter ausgeführt: „Durch die vorgesehene Ausweitung der behördlichen Disziplinarkompetenz werden sowohl das Verfahren der Disziplinarklage als auch die Disziplinarkompetenz der Gerichte entbehrlich. Entsprechende Bestimmungen sollen entfallen.“ Abgesehen davon, dass es bisher im Landesdisziplinarrecht keine „besondere Disziplinarklage des Dienstherrn“ gab, sondern eine Anschuldigungsschrift, mit deren Vorlage bei der Disziplinarkammer der gerichtliche Abschnitt des förmlichen Disziplinarverfahrens eingeleitet wurde, scheint die Zielrichtung des LDNOG-Entwurfs klar, nämlich die Abschaffung der gerichtlichen Disziplinargewalt.

 

a) Der status quo ist dabei folgender: Nach § 74 Abs. 1, § 84 Abs. 1 LDO obliegt im förmlichen Disziplinarverfahren die Ausübung der Disziplinargewalt dem Gericht. Dieses stellt als neutrale Stelle verbindlich fest, ob ein Dienstvergehen vorliegt, und verhängt die angemessene Disziplinarmaßnahme. Die Gerichte können dabei die Anschuldigungspunkte mit Zustimmung der Einleitungsbehörde beschränken und dadurch eine weitere Beschleunigung bewirken (vgl. § 66 LDO). Auch dies setzt jedoch eine eigene Disziplinargewalt des Gerichts voraus. Beschränkt auf den mit der Disziplinarverfügung vorgegebenen Rahmen obliegt die Ausübung der Disziplinargewalt den Disziplinargerichten bislang auch im nichtförmlichen Verfahren (§ 33 Abs. 3 Satz 4 LDO). Auch hier üben die Gerichte eigenes disziplinares Ermessen aus. Eine bezüglich der gerichtlichen Disziplinargewalt vergleichbare Rechtslage besteht im Bundesdisziplinarrecht (siehe z.B. BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 - 2 C 9.06 -). Soweit gerichtliches Ermessen ausgeübt werden kann, ist es Sache des Gerichts, das Verfahren zur Spruchreife zu bringen. Die Ausübung gerichtlichen Ermessens beschleunigt das Verfahren und gewährleistet einen rechtskräftigen Abschluss der Disziplinarverfahren in einem Zug.

 

b) Der vorliegende LDNOG-Entwurf entzieht den Disziplinargerichten, also den neutralen Stellen, die Disziplinargewalt und die damit verbundene Gestaltungsmacht. Den neutralen Ermittler des Sachverhalts, den Untersuchungsführer (§§ 51, 52 LDO) schafft der LDNOG-Entwurf ebenfalls ab. Stattdessen weist der Entwurf die Befugnis, den Sachverhalt zu ermitteln und zugleich die Befugnis, die angemessene Disziplinarmaßnahme bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis festzusetzen, der Disziplinarbehörde, also in der Regel dem Dienstvorgesetzten zu (vgl. §§ 5, 38 LDNOG-Entwurf). Damit wird sozusagen die Abkehr vom inquisitorischen Prinzip der Einheit von Ermittler und Entscheider aufgehoben. Eine Selbstkontrolle zur Vereinheitlichung der Spruchpraxis der Dienstvorgesetzten in der gesamten Verwaltung findet nicht statt (Seite 4 der Begründung zum Entwurf sowie § 15 Abs. 2 AGVwGO-Entwurf). Die Möglichkeiten der disziplinargerichtlichen Korrektur formell oder materiell rechtswidriger Maßnahmen des Dienstvorgesetzten beschränkt der Entwurf auf die Kassation des Disziplinar-Verwaltungs­aktes (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Entscheidet sich der Dienstvorgesetzte für die falsche Disziplinarmaßnahme oder geht er bei einem Teil der Vorwürfe zu Unrecht vom Vorliegen eines Dienstvergehens aus, ist eine Heilung ausgeschlossen. In diesem Fall muss nach dem LDNOG-Entwurf das Disziplinarverfahren nach Kassation der fehlerhaften Disziplinarverfügung von vorn beginnen. Wirkt sich der Fehler zugunsten des Beamten aus, wird also zum Beispiel anstelle der nach der Spruchpraxis fälligen Zurückstufung (Degradierung) nur eine Gehaltskürzung ausgesprochen, muss nach dem Entwurf die Klage des Beamten abgewiesen werden und bleibt es bei der unangemessen milden Disziplinarverfügung.

 

Das vom LDNOG-Entwurf vorgeschlagene Modell wird danach voraussichtlich in der gesamten Spanne der Entscheidungen vom Verweis bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erhebliche Reibungsverluste produzieren. Die Dienstvorgesetzten dürften dazu erfahrungsgemäß mit der Bestimmung der nach der disziplinaren Spruchpraxis angemessenen Disziplinarmaßnahme häufig überfordert sein. Weiter ist der Dienstvorgesetzte in keiner Weise neutral. Er muss bei innerbehördlichen Konflikten Partei ergreifen und kann auf die Entwicklung im Personalbereich seiner Behörde durch Entfernung aus dem Dienst oder Degradierung Einfluss nehmen. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass die Disziplinarverfügungen regelmäßig akzeptiert und bestandskräftig werden. Haben die Disziplinarverfügungen im anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren keinen Bestand, sind erhebliche, mit dem Fürsorgegrundsatz nicht zu vereinbarende Verzögerungen zu erwarten, müsste doch jeweils nach Aufhebung der Disziplinarverfügung mit dem behördlichen Verfahren von neuem begonnen werden. Dass ein rechtskräftiger Abschluss der Disziplinarverfahren in einem Zug nach dem vorgeschlagenen Modell regelmäßig nicht sicher absehbar ist, könnte dazu führen, dass die Behörden von der Einleitung notwendiger Disziplinarverfahren abgehalten werden. Wer will schon einen jahrelangen ungeklärten Konflikt? Die Abschaffung der Disziplinargewalt der Disziplinargerichte dürfte danach nicht praktikabel sein. Sie birgt die Gefahr einer dem Gegenstand der Disziplinarverfahren Schwächung der Disziplinargewalt und eine nicht angemessene fürsorgepflichtwidrigen Verzögerung der Verfahren.

 

c) Hinzu kommen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, dass die Abschaffung der gerichtlichen Disziplinargewalt mit Art. 33 Abs. 5 GG kollidiert. Das Disziplinarrecht zählt zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (vgl. BVerfGE 7, 129; 15, 105; 37, 167; BVerwGE 103, 70). Zu den tragenden Strukturelementen des Disziplinarrechts gehört wiederum die gerichtliche Disziplinargewalt. Neutrale Stellen und nicht die betroffenen Dienstvorgesetzten sollen danach über die Zurückstufung oder Beendigung des Dienstverhältnisses entscheiden. Die Verhängung der Disziplinarmaßnahmen „Entfernung aus dem Dienst“ und „Degradierung“ war nach einigen disziplinarrechtlichen Regelungen bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Gerichten vorbehalten. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Abschaffung der gerichtlichen Disziplinargewalt als grundlegender Bestandteil des hergebrachten Disziplinarrechts mit Art. 33 Abs. 5 GG ganz oder zum Teil unvereinbar ist, spiegelt die Begründung zum Entwurf nicht wieder. Wegen den Folgen sollte hier keinesfalls vorschnell gehandelt werden, noch dazu ohne zwingenden sachlichen Grund.

 

d) Warum der LDNOG-Entwurf das Modell des novellierten Bundesdisziplinargesetzes, das sich in der disziplinargerichtlichen Praxis seit 2001 bewährt hat und verfassungsrechtlich unbedenklich sein dürfte, nämlich die Disziplinarklage des Dienstherrn gerichtet auf Degradierung oder Entfernung aus dem Dienst (vgl. § 34 BDG) bei Beibehaltung gerichtlicher Disziplinargewalt auch im übrigen, nicht übernimmt, ergibt sich aus der Begründung zum Entwurf nicht. Dabei spricht aus gerichtlicher Sicht einiges für strukturell einheitliche Verfahren bei Bundes- und Landesbeamten. Dass die Befugnis zur Feststellung eines Dienstvergehens und die Verhängung der Disziplinarmaßnahme bei Degradierung oder Entfernung aus dem Dienst richtigerweise weiter den Disziplinargerichten zugewiesen werden sollte, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass die Disziplinargerichte in der Vergangenheit - auch wegen der bewährten Besetzung mit zwei Berufsrichtern und einem ehrenamtlichen Richter aus der Laufbahngruppe und dem Verwaltungszweig des beschuldigten Beamten, bzw. mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern aus der Laufbahngruppe und dem Verwaltungszweig in zweiter Instanz - stets mit großem Verständnis für die Belange des öffentlichen Dienstes und der Beschuldigten Recht gesprochen haben. Die Entscheidungen wurden dabei schnell und mit Augenmaß getroffen und in der Regel von den Beteiligten akzeptiert. Die Bearbeitungszeiten der ersten Instanz bewegen sich gegenwärtig bei förmlichen Disziplinarverfahren zwischen 4 und 12 Monaten. Sie sind damit der Aufgabenstellung angemessen.

 

e) Zusätzlich wird zu bedenken gegeben, dass die Disziplinarbehörden bereits in der Vergangenheit vielfach mit der disziplinarrechtlichen Materie überfordert waren und daher disziplinarisch häufig spät, zum Teil zu spät eingeschritten sind. Wenn Disziplinarverfahren durchgeführt wurden, dauerten diese im behördlichen Abschnitt zum Teil viel zu lange, im Extremfall über 12 Jahre (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 3.8.2006 - 16 S 2/06 -). Diese Tendenz wird sich wohl verstärken, wenn nach dem LDNOG-Entwurf die Ämter des Vertreters der Einleitungsbehörde und des Untersuchungsführers abgeschafft und die Disziplinarbefugnisse der Dienstvorgesetzten gleichzeitig erhöht werden. Wenn es zur vollen disziplinaren Kompetenz der Dienstvorgesetzten auch bezüglich Zurückstufung (Degradierung) und Entfernung aus dem Dienst kommen sollte, wäre zu prüfen, ob die fehlende Erfahrung und Routine bezüglich der Handhabung der komplexen Materie durch Landesdisziplinaranwälte kompensiert werden muss, um nicht mehr vertretbare Verzögerungen behördlicher Disziplinarverfahren zu verhindern und eine ausgeglichene Situation herzustellen, bezüglich der durch Fachanwälte vertretenen Beamten.

 

3. Zu Art. 1 § 9 LDNOG-Entwurf

Es erscheint bedenklich, dass der LDNOG-Entwurf das Beschleunigungsgebot abschafft. Nach Erfahrungen in der disziplinarrechtlichen Praxis belastet die Durchführung eines Disziplinarverfahrens den Dienstbetrieb und die Leistung des betroffenen Beamten ganz erheblich. Dazu deuten die im gerichtlichen Verfahren häufig vorgelegten fachärztlichen psychiatrischen Atteste auf eine hohe psychische Belastung der betroffenen Beamten hin. Danach ist es angezeigt, dass Behörden und Gerichte Disziplinarverfahren beschleunigt behandeln. Eine entsprechende Regelung enthält § 3 Abs. 2 LDO. Das Gebot ist nicht nur von den Disziplinarbehörden sondern auch von den Gerichtspräsidien bei der Besetzung der Disziplinarkammern und Senate sowie von den mit der Bearbeitung von Disziplinarverfahren beauftragten Richtern zu beachten. Angesichts der in der disziplinarrechtlichen Praxis beobachteten Laufzeiten behördlicher Disziplinarverfahren erscheint es unverständlich, dass der vorliegende LDNOG-Entwurf das Beschleunigungsgebot für verzichtbar hält. Das disziplinarrechtliche Beschleunigungsgebot sollte beibehalten werden.

 

4. Zu Art. 1 § 16 LDNOG-Entwurf

Es erscheint bedenklich, dass der Beamte bei nachgewiesener nicht verschuldeter Verhinderung eine Verlegung der Zeugen- und Sachverständigenvernehmung nicht beanspruchen kann. Es erscheint möglich, dass durch diese Beschneidung des rechtlichen Gehörs lediglich eine Wiederholung der Vernehmung in einem späteren (zum Beispiel gerichtlichen) Verfahrensstadium bewirkt wird.

 

5. Zu Art. 1 § 21 LDNOG-Entwurf

Die Neuregelung ruft Bedenken hervor, auch in Bezug auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit in Bezug auf Art. 33 Abs. 5 GG. Nach bisheriger Rechtslage nimmt der Beamte das ihm verliehene statusrechtliche Amt ein und ist vom Dienstherrn entsprechend zu beschäftigen, solange ihm das statusrechtliche Amt nicht durch eine Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt (vgl. § 10 LDO) entzogen wird. Der LDNOG-Entwurf sieht davon abweichend vor, dass dem Beamten unbefristet ab Einleitung des Disziplinarverfahrens eine in Bezug auf sein Amt geringer wertige Tätigkeit übertragen werden kann, wenn er voraussichtlich zurückgestuft wird und eine dem bisherigen Amt entsprechende Verwendung dem Dienstherrn oder der Allgemeinheit nicht zugemutet werden kann. In der Begründung wird dazu ausgeführt, es handele sich um eine Umsetzung, die nicht als Verwaltungsakt ergehe. Davon abgesehen, dass es sich bei dem unbefristeten, bezüglich der Auswirkungen endgültigen Eingriff in die innegehabte Rechtsposition des Beamten wohl eher um einen mit Widerspruch und Anfechtungsklage anfechtbaren Verwaltungsakt handeln dürfte, erscheint die Maßnahme bedenklich, weil der Beamte auf nicht absehbare Zeit nicht statusgemäß beschäftigt werden soll, obwohl noch keine rechtskräftige Entscheidung zu seinen tatsächlichen oder vermeintlichen Dienstvergehen ergangen ist (vgl. BVerwGE 126, 182). Eine Kompensation für die Beschädigung des Ansehens des Beamten ist im Fall des Erfolgs seiner Disziplinarklage gegen die Zurücksetzungsverfügung nicht vorgesehen. Bei einem beschleunigten Disziplinarverfahren wäre die Regelung ohnehin verzichtbar, bzw. würden entsprechende dienstliche Bedürfnisse mit den Suspendierungsmöglichkeiten angemessen abgedeckt.

 

6. Zu Art. 1 § 22 LDNOG-Entwurf

Die Regelung über die vorläufige Dienstenthebung engt die Möglichkeit der lediglich „störungsabwehrenden Dienstenthebung“ - im Gegensatz zur „entfernungsvorbereitenden Dienstentzhebung“ (zu den Begriffen vgl. von Alberti/Gayer/Roskamp, Landesdisziplinarordnung, Kommentar, § 89 Rdnr. 1) - unangemessen ein; zumindest birgt sie die Gefahr vermeidbarer Auslegungsprobleme. Es sind Fälle denkbar, in denen die vorläufige Dienstenthebung angemessen ist, die aber nicht unter die beiden in Absatz 1 Satz 1 aufgeführten Fallgruppen subsumiert werden können. Besser wäre es daher, bei der bisherigen Lösung zu bleiben (§ 89 LDO).

 

7. Zu Art. 1 § 23 LDNOG-Entwurf

Die Beseitigung der Möglichkeit, gegen die Aufrechterhaltung der Anordnungen zur Suspendierung und zum Einbehalt von Besoldungsbezügen, eine Entscheidung der Disziplinarkammer nach § 93 Abs. 2 LDO herbeizuführen, ist bedenklich. Nach der Begründung zum LDNOG-Entwurf (Seite 38) soll der Beamte wohl künftig bezüglich der vorläufigen Maßnahmen nach §§ 21 und 22 LDNOG-Entwurf bei dem für die beamtenrechtlichen Streitigkeiten zuständigen Verwaltungsgericht Klage erheben und im Wege eines zusätzlichen Verfahrens Eilrechtsschutz beantragen können. Diese Lösung erscheint umständlicher, aufwändiger und weniger effektiv als die bisher bestehende gesetzliche Regelung.

 

8. Zu Art. 1 § 26 LDNOG-Entwurf

Die Vorschrift zur Bemessung der Disziplinarmaßnahmen wurde in Anlehnung an § 13 BDG formuliert. Eine wesentliche Erleichterung der bei der Bemessung durchzuführenden Prüfung wird dadurch sicherlich nicht erreicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 6.6.2007 - 1 D 2/06 -; Weiß, Gesetzliche Disziplinarmaßbemessung bei Beamten, PersV 2007, 316). Die in der Begründung zum LDNOG-Entwurf (Seite 41) geäußerte Erwartung, dass mit der Bestimmung eine einheitliche Handhabung des Disziplinarrechts durch die Behörden sichergestellt und Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen werde, erscheint zu optimistisch. Nachdem sich nach der Begründung (ebenfalls Seite 41) die Rolle der Gerichte auf die nachfolgende Rechtmäßigkeitskontrolle beschränken soll, erscheint trotz § 38 Abs. 1 Satz 2 LDNOG-Entwurf eine weitgehende Zersplitterung und disziplinare Ungleichbehandlung wahrscheinlicher.

 

9. Zu Art. 1 § 31 LDNOG-Entwurf

Der Entwurf lässt den bisher nach § 75 LDO möglichen Unterhaltsbeitrag entfallen. Es wird darauf hingewiesen, dass sich die Landesbeamten im Fall der Entfernung aus dem Dienst bzw. Aberkennung des Ruhegehalts schlechter stellen als Bundesbeamte (vgl. § 79 BDG). Die Verpflichtung des Beamten nach Art. 1 § 31 Abs. 2 Satz 7 LDNOG-Entwurf, die nach Zustellung der Entfernungsverfügung erhaltenen gekürzten Dienstbezüge nach dem unanfechtbaren erfolglosen Abschluss des Disziplinarverfahrens zurückzubezahlen, verlagert das finanzielle Risiko auf den Beamten. Während in einer vergleichbaren Situation ein gekündigter Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses Arbeitslosengeld oder Sozialleistungen in Anspruch nehmen kann, ist dies bei einem Beamten ausgeschlossen. Bleibt der Beamte mit seiner Klage gegen die Entfernungsverfügung ohne Erfolg und kommt es zur Rückzahlung, dürfte dies in etlichen Fällen den Ruin des Beamten und seiner Familie bedeuten. Die Erlangung von Rechtsschutz wird dadurch erschwert. Hieraus könnten sich auch verfassungsrechtliche Bedenken ergeben.

 

10. Zu Art. 1 § 33 LDNOG-Entwurf

Die Vorschrift in § 12 Abs. 2 LDO erscheint griffiger und präziser als die Formulierung im Entwurf. Die bewährte bisherige Regelung lautet: „Die Aberkennung des Ruhegehalts setzt voraus, dass die Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt wäre, wenn der Ruhestandsbeamte sich noch im Dienst befände.“ Die neue Regelung: „Einem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er ein schweres Dienstvergehen begangen hat und dem Dienstherrn oder der Allgemeinheit ein Fortbestehen des Versorgungsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.“ Bei einem im Lauf des Disziplinarverfahrens pensionierten Lehrer, der im aktiven Dienst sexuellen Missbrauch an einem Schulkind begangen hat, liegen zum Beispiel nach § 12 Abs. 2 LDO die Voraussetzungen für die Aberkennung des Ruhegehalt ohne weiteres vor. Denn nach der Spruchpraxis der Disziplinargerichte ist ein aktiver Beamter wegen dieses Deliktes aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Nach § 33 Abs. 1 LDNOG-Entwurf wäre zwar die Begehung eines schweren Dienstvergehens zu bejahen. Dann wäre aber weiter zu prüfen, ob nach der Zurruhesetzung dem Dienstherrn oder der Allgemeinheit das Fortbestehen des Versorgungsverhältnisses zugemutet werden kann. Bei dieser vom LDNOG-Entwurf vorgesehenen Zumutbarkeitsprüfung müsste dann wohl einfließen, dass der Beamte nach seiner Zurruhesetzung keine Kinder mehr unterrichtet, also keine Wiederholung des innerdienstlichen Vergehens droht. Auf dieser Basis wäre über die Fortsetzung des Versorgungsverhältnisses zu entscheiden. Von dieser Komplizierung abgesehen ist nicht zu erwarten, dass die Handhabung der Norm durch die unterschiedlichen Disziplinarbehörden zu einer einheitlichen Spruchpraxis bezüglich der „Zumutbarkeit“ führen wird.

 

11. Zu Art. 1 § 35 LDNOG-Entwurf

Nach dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens beginnt der Zeitablauf bezüglich des Disziplinarmaßnahmeverbots bei mehreren Dienstvergehen nach der Begehung des letzten Dienstvergehens. Dies sieht auch die Begründung des LDNOG-Entwurfs so (Seite 54). Danach geht der Entwurf wohl davon aus, dass keine Lockerungen bezüglich des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens vorgenommen werden sollten. Dies sollte überprüft werden. In der bisherigen disziplinarrechtlichen Praxis hat die Beachtung des Grundsatzes häufig zu gravierenden Verzögerungen geführt. Wohl auch deswegen sehen die §§ 19, 53, 56 BDG Lockerungen bezüglich des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.2.2007 - 1 D 12/05 - m.w.N.). Eine dadurch mögliche Beschleunigung wäre auch im Landesrecht zu begrüßen. Schließlich setzt die effektive Einwirkung auf Beamte, die ein Fehlverhalten an den Tag legen, voraus, dass die disziplinare Reaktion rasch erfolgt und einen deutlichen zeitlichen Bezug zum konkreten Dienstvergehen hat.

 

12. Zu Art. 15 LDNOG-Entwurf (§ 7 AGVwGO)

Für die Wegnahme der Zuständigkeit in landes- und bundesrechtlichen Disziplinarstreitigkeiten von den Verwaltungsgerichten Freiburg, Karlsruhe und Sigmaringen und für die Konzentration dieser Verfahren beim Verwaltungsgericht Stuttgart besteht kein sachlicher Grund. Die bisherige Zuständigkeitsregelung hat sich in vielen Jahren bewährt, sie ist „kundenfreundlich“, garantiert die Ausnutzung von Personalressourcen und führt nachweislich zu kurzen, der Materie angemessenen Bearbeitungszeiten. Hiervon profitieren die Behörden und die betroffenen Beamten. Für beide Seiten sind lange Disziplinarverfahren mit nicht zumutbaren Belastungen verbunden. Die Zuständigkeitskonzentration auf das Verwaltungsgericht Stuttgart wäre dabei auch in keiner Weise „kundenfreundlich“, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Der Beamtenbeisitzer, der Beamte und der Prozessbevollmächtigte, aber auch Zeugen müssen eine oder mehrere Anreisen nach Stuttgart in Kauf nehmen. Weil Maßnahmen nach Art. 1 §§ 29 bis 33 LDNOG-Entwurf immer in der vollen Besetzung, auch im Eilverfahren, zu entscheiden sind, wäre dies unpraktisch. Die von der LDNOG-Entwurf-Begründung vorgeschlagene Abhaltung von auswärtigen Sitzungen erhöht den Aufwand massiv und wirkt sich daher mit Sicherheit nicht verfahrensbeschleunigend aus. Bei einer absehbaren Erhöhung der Fallzahlen kann die gegenwärtige kurze Bearbeitungszeit bei einer Konzentration auf das Verwaltungsgericht Stuttgart sicher nicht gehalten werden. Die dann zu erwartenden Verzögerungen stünden im Widerspruch zum disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebot. Die Notwendigkeit, die beamtenrechtlichen Maßnahmen (§§ 21, 22 LDNOG-Entwurf; vgl. Begründung Seite 38) von den Verwaltungsgerichten in Freiburg, Karlsruhe und Sigmaringen klären zu lassen und die unmittelbar damit zusammenhängenden disziplinarrechtlichen Verfahren in Stuttgart betreiben zu müssen, macht weder für den Beamten noch für die Behörde Sinn und erschwert den Gerichten, die für die Beurteilung die Behördenakten benötigen, unnötig die Arbeit. Für die Bürger in den Regierungsbezirken Freiburg, Karlsruhe und Tübingen wäre die neuerliche Besserstellung des Regierungsbezirks Stuttgart bei der Erlangung des verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutzes ohnehin ein nicht verständliches Signal. Sie könnten sich zurecht fragen, warum den Bürgern und Behörden ihrer Regierungsbezirke wieder lange Wege zum Gericht zugemutet werden sollen und den Bürgern und Behörden des Regierungsbezirks Stuttgart nicht. Sachliche Gründe für diese Ungleichbehandlung gibt es nicht. Es ist daher zu fordern, dass von einer Konzentration der Zuständigkeit in Disziplinarsachen auf das Verwaltungsgericht Stuttgart Abstand genommen wird.

 

13. Zu Art. 15 LDNOG-Entwurf (§ 15 Abs. 2 AGVwGO)

Der Verzicht auf ein Vorverfahren wäre bei Beibehaltung der gerichtlichen Disziplinarbefugnis vertretbar. Damit wäre eine volle gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit gewährleistet.

 

14. Zu Art. 15 LDNOG-Entwurf (§ 20 AGVwGO)

Die Schaffung einer Möglichkeit eines Abschlusses von Disziplinarverfahren durch Vergleich und der Ausschluss einer solchen Möglichkeit im behördlichen Verfahren ist zu begrüßen.

 

15. Zu Art. 15 LDNOG-Entwurf (§ 21 AGVwGO)

Der Revisionsausschluss ist angemessen. Dagegen erscheint die Abschaffung der zulassungsfreien Berufung (vgl. § 78 LDO) überdenkenswert. Eine generelle Zulässigkeit der Berufung, zumindest von der Gehaltskürzung aufwärts, wäre angemessen.

 

 


III. Schlussbemerkung

 

Insgesamt entsteht bei der Prüfung des LDNOG-Entwurfs der Eindruck, dass nach langjähriger Verzögerung nun eine Regelwerk vorgeschlagen wird, das auf der einen Seite funktionierende Strukturen verwirft und gleichzeitig keine Lösung für bisher nicht funktionierende Verfahrensbereiche anbietet. Insofern erscheint die Beseitigung des Grundsatzes, dass die Gerichte bei Zurückstufung (Degradierung) und Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zur Entscheidung berufen sind und auch sonst eigene Disziplinargewalt ausüben, ebenso kontraproduktiv wie die Konzentration der Zuständigkeit auf eines der vier Verwaltungsgerichte. In diesen bisher funktionierenden Bereichen werden durch die Regelung voraussichtlich Probleme geschaffen. Gleichzeitig wird das eigentliche Problem der überlangen behördlichen Disziplinarverfahren nicht gelöst, sondern durch Zuweisung der Zuständigkeit für die Zurückstufung (Degradierung) und Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sowie durch die fehlende Heilungsmöglichkeit von Fehlern durch Ausübung gerichtlichen disziplinarischen Ermessens verstärkt.

 

Eine grundlegende Überarbeitung unter Einbeziehung disziplinarrechtlicher Praktiker wird daher angeregt.

 

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

Dr. Christian Heckel

Richter am VGH