Mannheim, den 19.06.2008
Justizministerium Baden-Württemberg
Herrn Ministerialdirektor Steindorfner Schillerplatz 4 70173 Stuttgart
Entwurf einer Neufassung der Beurteilungsrichtlinie für Richter und
Staatsanwälte vom 16.04.2002;
hier: Neufassung der Anlagen 1 (Beurteilungsvordruck) und 3
(Anforderungsprofile)
Ihr
Schreiben vom 04.06.2008, Az.: 2000/0284
Sehr
geehrter Herr Ministerialdirektor Steindorfner,
zu
dem Entwurf einer Neufassung der Anlagen 1 und 3 zur
Beurteilungsrichtlinie für Richter und Staatsanwälte, die Sie mit Ihrem
Schreiben vom 04.06.2008 übersandt haben, nimmt der Verein wie folgt
Stellung:
1.
Verfehlt ist aus unserer Sicht die Aufnahme der Führungskompetenz
bereits in das Profil für das Eingangsamt (Basisprofil). Für
Richterinnen und Richter im Eingangsamt insbesondere in der
Verwaltungsgerichtsbarkeit mit ihrem grundsätzlichen Kammerprinzip
spielt die Führungskompetenz nur in seltenen Fällen eine Rolle, da die
Möglichkeiten, Führungskompetenz unter Beweis zu stellen, gering sind.
Allenfalls bei Vertretung des Vorsitzenden könnte dies in Betracht
kommen. Die Aufnahme der Führungskompetenz in das Basisprofil wird den
an einen Richter im Eingangsamt zu stellenden Anforderungen nicht
gerecht und wird auch zur Rechtswidrigkeit der unter Zugrundelegung der
Beurteilungsrichtlinie erstellten dienstlichen Beurteilungen führen. Die
öffentliche Verwaltung ist bei der Bestimmung von Anforderungsprofilen
an die gesetzlichen Vorgaben gebunden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3.
Kammer des Zweiten Senats vom 11. November 1999 - 2 BvR 1992/99 -, ZBR
2000, S. 377; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Februar
2007 - 2 BvR 2494/06 -, NVwZ 2007, 693; Beschluss der 1. Kammer des
Zweiten Senats vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 2457/04 - ZBR 2008, 164).
Auch die Organisationsgewalt ist dem Dienstherrn nicht schrankenlos
zugesprochen; dieser hat vielmehr die gesetzlichen Vorgaben – und damit
insbesondere den Grundsatz der Bestenauslese (vgl. BVerwGE 122, 147
<153>; 110, 363 <368>) – zu berücksichtigen und darf sich nicht von
sachwidrigen Erwägungen leiten lassen. Die Einhaltung dieser Maßstäbe
unterliegt auch der gerichtlichen Kontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss der
1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 2457/04 -
a.a.O. m.w.N.). Durch die Bestimmung des Anforderungsprofils legt der
Dienstherr die Kriterien für die dienstliche Beurteilung und ggf. für
eine Auswahl der Bewerber fest, an ihnen werden die Eigenschaften und
Fähigkeiten der Bewerber um den Dienstposten gemessen (vgl. BVerwGE 115,
58 <60 f.>). Fehler im Anforderungsprofil führen daher grundsätzlich
auch zur Fehlerhaftigkeit der auf der Grundlage des fehlerhaften
Anforderungsprofils erstellten dienstlichen Beurteilungen und – soweit
eine Auswahlentscheidung zwischen mehreren Bewerbern zu treffen ist
(etwa zwischen mehreren Richtern auf Probe für eine ausgeschriebene
Stelle im richterlichen Eingangsamt; vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 1.
Kammer des Zweiten Senats vom 28. Februar 2007 - 2 BvR 2494/06 - a.a.O.)
– des Auswahlverfahrens, weil die Auswahlerwägungen dann auf
sachfremden, nicht am Leistungsgrundsatz orientierten Gesichtspunkten
beruhen.
2.
Für missglückt halten wir ferner die Modifizierung der
Grundanforderungen für die Richterin/den Richter an einem Obergericht,
was die vorherige Abordnung an dieses angeht. Mit der künftig
vorgesehenen Formulierung
„Grundsätzlich die erfolgreiche Abordnung an ein Obergericht, eine
Generalstaatsanwaltschaft, das Justizministerium Baden-Württemberg, das
Bundesministerium der Justiz, ein Bundesgericht oder eine Dienststelle,
bei der eine vergleichbare Tätigkeit ausgeübt wurde“
wird
die Bedeutung der Abordnung an das Obergericht, die nach unserer
Auffassung die Regel sein soll, weiter relativiert. Die Heraushebung
anderer Dienststellen durch ausdrückliche Erwähnung in der Anlage 3
lehnen wir ab. Tätigkeiten in der Verwaltung, die nur sehr bedingt einen
Rückschluss auf die Eignung für die richterliche Tätigkeit an einem
Obergericht erlauben, werden dieser von vornherein als gleichwertig
erachtet. Wir halten dies für falsch und treten dafür ein, im Grundsatz
an der Abordnung an das Obergericht als Voraussetzung der Beförderung
festzuhalten. Dies erscheint auch im Blick auf die Vergleichbarkeit der
dienstlichen Beurteilungen erstrebenswert, die insbesondere bei
Abordnungen außerhalb Baden-Württembergs nicht gegeben ist. In der
Praxis bereitet das Festhalten an der Erprobungsabordnung an das
Obergericht – jedenfalls in der Verwaltungsgerichtsbarkeit – auch keine
Probleme, da alle Richterinnen und Richter, die dies wünschen, innerhalb
eines vertretbaren Zeitraums nach ihrer Lebenszeiternennung zur
Erprobung an den Verwaltungsgerichtshof abgeordnet werden können. Die
Ausnahmen von der Erprobungsabordnung haben in der Richterschaft immer
wieder zu großer Unzufriedenheit geführt. Wir regen daher die
Beibehaltung der bisherigen Formulierung an.
3.
Schließlich erscheint es uns nicht schlüssig, die Tätigkeit im Präsidium
und/oder Präsidialrat anders zu bewerten als die Tätigkeit im Richter-
oder Staatsanwaltsrat. § 107 BPersVG findet nach der Rechtsprechung in
gleicher Weise auf die Tätigkeit im Richter- oder Staatsanwaltsrat wie
auch auf die Tätigkeit im Präsidium und im Präsidialrat Anwendung (vgl.
<zum Präsidialrat> etwa VG Berlin, Beschluss vom 17.03.2003 - 7 A 295.02
- juris). Nicht gänzlich geklärt ist in der Rechtsprechung lediglich die
inhaltliche Reichweite des § 107 BPersVG. Es fehlt an einer gefestigten
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu der Frage,
Unseres Erachtens muss die Erwähnung der Tätigkeit in – allen –
Selbstverwaltungs- und Beteiligungsgremien in der dienstlichen
Beurteilung zulässig sein. Durch die Nichterwähnung derartiger
Tätigkeiten würde gerade eine Benachteiligung herbeigeführt. Denn die
Tätigkeit im Richterrat und in den übrigen Selbstverwaltungs- und
Beteiligungsgremien ist immer wieder zeitintensiv und oftmals
zeitaufwändiger als die Ausübung anderer, in der dienstlichen
Beurteilung zu benennenden Funktionen. Vor allem die quantitative
Leistung eines Richters kann sachgerecht nicht richtig eingeordnet
werden, wenn aus der Beurteilung nicht hervorgeht, dass er auch die
zeitaufwändige Funktion etwa eines Richterrats wahrzunehmen hatte. Es
kann dem Dienstherrn auch nicht verwehrt sein, aus dem Umstand, dass
eine Richterin oder ein Richter von der Richterschaft in ein solches
Gremium gewählt wurde, auf seine soziale Kompetenz zu schließen. Eine
andere Auslegung würde Sinn und Zweck des § 107 BPersVG nicht gerecht.
Wir plädieren daher dafür, den bisherigen Passus „einschließlich
Selbstverwaltungs- und Beteiligungsgremien“ beizubehalten. Soweit
ersichtlich, ist die bisherige bewährte Praxis im Lande auch nie
gerichtlich beanstandet worden.
Mit
freundlichen Grüßen
Dr.
Christian Heckel
Richter am VGH
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