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Mannheim, den 22.02.2007

Herrn Ministerialdirektor

Michael Steindorfner

Justizministerium Baden-Württemberg

Postfach 10 34 61

 

70029 Stuttgart

 

 

 

 

 

 

 

Reformüberlegungen im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit

Schreiben des VGH-Präsidenten an Sie vom 12.09.2006 (Az.: E3010b/4725)

Ihr Antwortschreiben vom 10.10.2006 (Az.: 1223/0260)

 

 

 

Sehr geehrter Herr Ministerialdirektor Steindorfner,

 

 

der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, Herr Dr. Weingärtner, hat uns seine Reformüberlegungen im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Ihr Antwortschreiben zugeleitet. Der Verwaltungsrichterverein möchte diese Reformüberlegungen mit Nachdruck unterstützen und dankt Ihnen für Ihre grundsätzlich aufgeschlossene Antwort. Wir sind mit Ihnen der Auffassung, dass die Vorschläge, wie Sie schreiben, in die richtige Richtung führen. Wir möchten Sie daher bitten, diese Reformüberlegungen weiter aufzugreifen und in eine rechtspolitische Initiative umzusetzen.

 

Wir meinen, die Zeit für eine solche Gesetzesinitiative des Justizministeriums ist derzeit äußerst günstig. Zu Recht weisen Sie auf die unterschiedliche Arbeitsbelastung der verschiedenen Gerichtsbarkeiten hin, die in der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach langen Jahren der Überlast nun, vor allem wegen der Übertragung sozialrechtlicher Zuständigkeiten und rückläufiger Asylbewerberzahlen, durch sinkende Verfahrenszahlen gekennzeichnet ist. Es kommt hinzu, dass die Übertragung von Zuständigkeiten auf die Verwaltungsgerichte im weiteren Sinne zur „Großen Justizreform“ und „Vereinheitlichung der Prozessordnungen“ gehört, die im Moment ohnehin auf der politischen „Tagesordnung“ stehen und daher gut in ein dort anstehendes Artikelgesetz passen würde. Wir halten die derzeit diskutierte Große Justizreform für den richtigen Ort, um nach 50 Jahren Verwaltungsgerichtsbarkeit nun endlich auch die Zuständigkeit der Gerichtsbarkeit neu abzugrenzen und die historisch überholten Sonderzuweisungen für bestimmte öffentlich-rechtliche Materien an andere Gerichte aufzuheben. Auch der Gedanke der Rechtsbereinigung spricht dafür, diese Sonderregelungen zugunsten der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel (§ 40 VwGO) zu beseitigen, da diese ihre teilweise noch aus dem 19. Jahrhundert stammende historische Legitimation verloren haben. Nach unserer Einschätzung ließe sich dies im Moment auch in der Öffentlichkeit gut vermitteln.

 

Es wäre schade, wenn diese günstige Gelegenheit durch ein weiteres Zuwarten und die – seit vielen Jahren äußerst vage – Hoffnung auf eine Vereinigung der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten versäumt würde. Ob sich diese von Ihnen favorisierte Lösung in absehbarer Zeit realisieren lässt, erscheint uns fraglich. Auch der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, der sich für die Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten ausgesprochen hat, sieht in seinen Reformüberlegungen offenbar die Zuständigkeitsabgrenzung als vorrangig und lohnend. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass sich der Verwaltungsrichterverein als Landesverband – anders als der Bundesverband BDVR – bislang bewusst nicht zu den Plänen einer einheitlichen Fachgerichtsbarkeit geäußert hat. Angesichts der starken Argumente für und wider dieses Vorhaben erwägt der Vorstand des Verwaltungsrichtervereins seit Jahren eine Mitgliederbefragung, um bei einer abschließenden Stellungnahme hierzu auch wirklich den Willen der Vereinsmitglieder wiederzugeben. Bislang hat der Vorstand die Vereinsmitglieder hierzu noch nicht befragt, weil die Reformüberlegungen weder zeitlich noch inhaltlich hinreichend konkretisiert sind; für deren Meinungsbildung hätte gegebenenfalls natürlich auch die Frage nach den Gerichtsstandorten eine besondere Bedeutung.

 

Grundsätzlich Bedenken hat der Verwaltungsrichterverein gegen die Zuweisung an die Verwaltungsgerichte durch Rechtsverordnung (Punkt 1 der Reformüberlegungen). Schon aus Gründen der Bürgernähe sollten keine zentralen Zuständigkeiten einzelner Verwaltungsgerichte für bestimmte Angelegenheiten eingeführt werden. Auch spricht die besondere Stellung und Aufgabe der Verwaltungsgerichte dagegen, dass die Landesexekutive, die häufig auf Beklagtenseite steht, ihrerseits durch Verordnung auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte Einfluss nimmt. Selbst unabhängig von teilweise vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Regelung durch Rechtsverordnung würde das Erscheinungsbild der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegenüber dem Bürger doch beeinträchtigt. Insoweit gilt ­­– ähnlich wie bei dem „Dokumenten-Style-Guide“ – für die Verwaltungsgerichte ganz besonders, dass schon der Anschein einer besonderen Nähe zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichten strikt zu vermeiden ist; nach unserer Auffassung sollte dies auch bei der Bestimmung von Zuständigkeiten beachtet werden. Schließlich ist der Verein aber auch deshalb dagegen, damit die Verwaltungsgerichte nicht wieder so unterschiedlich groß und gewichtig werden wie zu Beginn der 90er Jahre, als die Asylstreitigkeiten nur von den Verwaltungsgerichten Stuttgart und Karlsruhe bearbeitet wurden.

 

Hinsichtlich der Zuständigkeiten, die mit Bereitschaftsdiensten verbunden wären, teilen wir die von Ihnen und vom Präsidenten des OLG Stuttgart vorgetragenen Bedenken. Die Verwaltungsrichter haben kein Interesse an Bereitschaftsdiensten und halten den damit verbundenen Mehraufwand nicht für gerechtfertigt.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

(Dr. Heckel)

Richter am VGH