Sigmaringen, den 23.04.2012 Justizministerium Baden-Württemberg Herrn
Minister Rainer Stickelberger
Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Änderung des Landesrichtergesetzes Ihr Schreiben vom 17.02.2012
Sehr geehrter Herr Minister Stickelberger,
im Namen des Vereins der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter Baden-Württemberg bedanke ich mich für die frühzeitige Beteiligung durch das Gespräch mit den Vorsitzenden der Präsidialräte und Verbandsvertretern im Ministerium und die Gelegenheit zur Stellungnahme. Aus unserer Sicht ist zu dem Gesetzentwurf folgendes anzumerken.
Die Grundlinie des Gesetzentwurfs mit den beiden uns betreffenden zentralen Anliegen, die Beteiligungsrechte unseres Präsidialrats zu stärken und das Disziplinarverfahren an das Landesdisziplinargesetz anzupassen, begrüßen wir sehr.
1. Die Fortbildungspflicht in § 8a festzuschreiben, halten wir für überflüssig. Wie in der Begründung ausgeführt wird, besteht schon jetzt durch Verweisung auf das Beamtenrecht die allgemeine dienstrechtliche Pflicht zur Fortbildung. Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter hat in einer Stellungnahme vom April 2006 hierzu ausgeführt (www.bdvr.de/Stellungnahmen):
„Die erwogene Einführung eines § 43 a in das Deutsche Richtergesetz mit der Überschrift ‚Fortbildung‘ und dem Inhalt ‚Der Richter ist verpflichtet, sich fortzubilden.‘ stößt auf gemischte Gefühle. Für die Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen in Deutschland ist lebenslange Fortbildung selbstverständlich. Das entspricht nicht nur dem Richterethos, sondern zeigt sich auch im Berufsalltag, wie etwa die Ergebnisse der Pebb§y-Fach-Untersuchung für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit eindrucksvoll zeigen. Vor diesem Hintergrund erscheint manchem die vorgeschlagene Novelle als ein Beispiel symbolischer Gesetzgebung, als letztlich unbedeutender Programmsatz. Gleichwohl befürwortet der BDVR eine ausdrückliche Verpflichtung der Richter zur Fortbildung, weil damit das Deutsche Richtergesetz für seinen Bereich übernimmt, was die Normgeber für Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bereits vorgeschrieben haben. Was für diese freien Berufe recht ist, sollte für uns Richter billig sein. Das Interesse an Fortbildung ist jedenfalls bei den Verwaltungsrichterinnen und -richtern groß.“
Die Gründe, die den BDVR letztlich dazu bewogen haben, der Einführung einer gesetzlichen Fortbildungspflicht zuzustimmen, treffen auf das Bundesgebiet gesehen nach wie vor zu. Sie greifen in Baden-Württemberg allerdings nicht ein. Diese bestanden darin, dass in einem Teil der Bundesländer die Reisekosten zu den beiden Fortbildungsstätten der Richterakademie nicht getragen wurden und auch die Fortbildungsangebote zu wünschen übrig ließen. Beides stellt bei uns kein Problem dar. Besonders ist hier auf das gute und gut angenommene Fortbildungsangebot des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg hinzuweisen. Da der Dienstherr bei uns die Fortbildung schon immer unterstützt hat, ist auch die – an sich begrüßenswerte – gesetzliche Verpflichtung des Dienstherrn zur Förderung der dienstlichen Fortbildung (§ 8a Satz 2) nicht erforderlich. Die gesetzliche Verankerung der Fortbildungspflicht ist im Übrigen kaum geeignet, um das Festhalten am Grundsatz des Einheitsjuristen zu unterstreichen, wie in der Begründung ausgeführt wird.
Dem geringen Gewinn steht gegenüber, dass durch die Regelung des § 8a LRiG gerade auf gewissenhafte Richter ein schädlicher Druck aufgebaut werden könnte. Soll der einzelne Richter Gewissheit haben, wann er seiner gesetzlichen Pflicht nachgekommen ist, müsste auch der Umfang der Fortbildungsverpflichtung gesetzlich geregelt werden, wie dies etwa bei Rechtsanwälten geschehen ist. Dies aber will niemand. Das an sich positive Signal, das mit der gesetzlichen Anerkennung der Fortbildung gegeben werden soll, kann damit eher das Gegenteil bewirken.
2. Die Erweiterung der Beteiligungsrechte des Präsidialrats in § 32 Abs. 2 LRiG begrüßen wir. Allerdings setzt sie das Ziel der Novelle nur zu einem Teil um und bleibt auf halbem Weg stecken.
Auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit dürfte diese Neuregelung keine Auswirkungen haben. Die eigentlich tragenden Erwägungen des Justizministeriums, die in diesem Punkt hinter der Novelle stehen und in der Begründung nicht ausgeführt werden, stammen aus anderen Gerichtsbarkeiten und bestehen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird schon seit Jahrzehnten jeder Kollege zur Erprobung an den Verwaltungsgerichtshof abgeordnet, der dazu bereit ist. Die in der Begründung genannte Transparenz des Systems der Erprobungsabordnungen besteht bei uns hinsichtlich der „VGH-Abordnung“ schon seit langem. Hierzu bedürfte es keiner Gesetzesnovelle.
Die mit dem Gesetz verfolgte Transparenz des Systems könnte aus unserer Sicht hingegen geschaffen werden durch eine Präsidialratsbeteiligung vor anderen Abordnungen, insbesondere an Bundesgerichte und das Justizministerium. Im vergangenen Jahrzehnt gab es in der Richterschaft erheblichen Unmut über mangelnde Transparenz einzelner Personalentscheidungen, in denen Kollegen ohne VGH-Abordnung befördert wurden. Gerade weil sich das Ministerium in diesen Fällen stets auf die Gleichwertigkeit der Abordnungstätigkeit im Justizministerium und beim Bundesverfassungsgericht berufen hat, ist dies für die Richterinnen und Richter an den Verwaltungsgerichten der entscheidende Punkt, an dem Transparenz geschaffen werden muss.
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es statt der Zustimmung des „abgebenden Präsidialrats“ auf die Zustimmung des aufnehmenden Gerichts und entsprechend der aufnehmenden Behörde einschließlich des Justizministeriums ankomme. Die Stellungnahme des Präsidialrats der Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 30.03.2012 (Seite 3) teilen wir insoweit nicht. Es ist uns nicht bekannt, dass eine Abordnung von Richtern an ein Bundesgericht oder Ministerium von der Zustimmung des „aufnehmenden“ Präsidialrats oder Personalrats abhängig gemacht wird. Selbst wenn eine solche Zustimmung vor der Abordnung eingeholt würde, hätte sie aber eine völlig andere Funktion, weil sie den Personalinteressen der aufnehmenden Einrichtung dienen würde. Die Zustimmung „unseres“ Präsidialrats dient hingegen dazu, die Rechte und die Chancengleichheit der Richterinnen und Richter an den Verwaltungsgerichten des Landes zu sichern. Daher ist der Präsidialrat in dem Maße zu beteiligen, in dem die Abordnung an Bundesgerichte und Behörden wie das Justizministerium Beförderungsvoraussetzungen schafft. Wenn eine solche auch nur in Einzelfällen der VGH-Abordnung gleichgestellt werden kann, ist auch vor einer solchen der Präsidialrat zu beteiligen. Alles andere wäre inkonsequent.
Entsprechendes gilt für die Vorschlagslisten zu den Bundesrichterwahlen. Um wirkliche Transparenz zu erreichen, muss auch hier der jeweilige Präsidialrat beteiligt werden. Ein Hinweis auf den jeweiligen Präsidialrat des aufnehmenden Bundesgerichts würde auch in diesem Zusammenhang nicht überzeugen. Der Präsidialrat des betroffenen Bundesgerichts kann sich nur aus dortiger Sicht zu einem vorgeschlagenen Bewerber äußern. Hier geht es aber darum, welcher Richter des Landes überhaupt dem Richterwahlausschuss des Bundes vorgeschlagen wird. Der Beteiligung des Präsidialrats stehen ferner die Natur des Richterwahlausschusses als Wahlgremium und das Vorschlagsrecht des Landesjustizministers nicht entgegen. Es geht nicht um ein imperatives Mandat für die Wahlentscheidung in diesem Gremium, sondern um das Vorschlagsrecht gemäß § 10 des Richterwahlgesetzes. Der Justizminister kann in seinem Abstimmungsverhalten im Richterwahlausschuss schon deshalb nicht gebunden werden, weil im Gesetz ein reines Anhörungsrecht des Präsidialrats vorgesehen ist. Mit dieser freien Wahlentscheidung im Richterwahlausschuss ist es jedoch gut vereinbar, wenn im Vorfeld die zur Bundesrichterwahl vorgeschlagenen Personen dem Präsidialrat mitgeteilt werden. Eine solche Beteiligung des Präsidialrats ist gerade deshalb angemessen, weil die Gesetzesnovelle ausweislich ihrer Begründung das Ziel verfolgt, die Bestenauslese innerhalb der Richter des Landes durch die Präsidialratsbeteiligung transparenter zu machen. Es geht nicht um Transparenz innerhalb des Wahlgremiums für Bundesrichter, sondern um die Transparenz auf Landesebene auf der Vorstufe des Vorschlagsrechts.
Im Ergebnis kann der Gesetzentwurf für die Verwaltungsgerichtsbarkeit das Ziel, mehr Transparenz zu schaffen, nur für sich in Anspruch nehmen, wenn die Präsidialratsbeteiligung entsprechend ausgeweitet wird.
3. Zum Entwurf des § 43 Abs. 5 LRiG teilen wir die grundsätzlichen Bedenken gegen das gerichtliche Feststellungsverfahren, die der Präsidialrat der Verwaltungsgerichtsbarkeit in seiner Stellungnahme vom 30.03.2012 geäußert hat. Auch wir als Verein sind gegen eine Gesetzesänderung, durch die die Stellung des Präsidialrats geschwächt werden könnte. Von Ausführungen zu den Einzelheiten dieses gerichtlichen Feststellungsverfahrens sehen wir daher ab.
4. Die Absicht, das Disziplinarverfahren nunmehr in enger Anlehnung an das Landesdisziplinargesetz zu gestalten, ist zu begrüßen; die Anmerkungen beschränken sich daher auf eher rechtstechnische Details der Entwurfsfassung.
Zum Entwurf des § 72 a I Nr. 2 LRiG erschließt sich nicht recht, weshalb es – über rein systematische Erwägungen hinaus – der Regelung zu einer höheren Disziplinarbehörde bedarf. Ein relevantes eigenes Anwendungsfeld für diese erscheint nicht ersichtlich.
§ 75 Abs. 4 LRiG sollte wie folgt gefasst werden: „In den Fällen des § 16 Absatz 3 und § 17 Absatz 2 des Landesdisziplinargesetzes tritt an Stelle des Verwaltungsgerichts das Dienstgericht.“ Denn das bisher vorgesehene Wort „entscheidet“ passt bei § 16 Abs. 3 LDG nur insoweit, als das Gericht über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung durch Beschluss entscheidet; der zentrale Inhalt der Vorschrift besteht jedoch darin, dass das Gericht unter den dort genannten Voraussetzungen auf Ersuchen der Behörde eine Beweisaufnahme durchführt, also nicht selbst Entscheidungen trifft.
In § 76 a Abs. 2 LRiG sollte auf das vorgesehene Vorverfahren verzichtet werden. Damit wird Strukturgleichheit mit dem Landesdisziplinargesetz i. V. m. § 15 Abs. 2 AGVwGO geschaffen. Bei der Überprüfung des Verweises als der geringsten Disziplinarmaßnahme erscheint ein Vorverfahren von der Bedeutung her wenig angemessen; hinzukommt, dass es angesichts der konkret vorgesehenen Regelungen auch eher einen überflüssigen Formalismus darstellen würde. Denn es dürfte wohl nur bei einer theoretischen Möglichkeit bleiben, dass in einem Vorverfahren ein Verweis von der obersten Disziplinarbehörde aufgehoben werden wird, nachdem diese ihn schon vor seinem Erlass durch ihre – nach § 75 Abs. 6 LRiG (Entwurfsfassung) erforderliche – Zustimmung inhaltlich gebilligt hatte.
Bei § 76 a Abs. 4 S. 2 und 3 LRiG (Entwurfsfassung) erscheinen die mehrfachen Abweichungen vom System der VwGO unnötig kompliziert und sollten vermieden werden. Insbesondere sollte auf die Sonderregelung des Satzes 2 verzichtet werden. Das gilt auch dann, wenn man Satz 3 belassen möchte. Doch auch auf Satz 3 kann wohl verzichtet werden, weil Art. 97 GG wohl kaum den Ausschluss eines Gerichtsbescheids verlangt. Die im Diskussionsentwurf intendierte Verhinderung einer – nicht einverständlichen – Entscheidung ohne jede mündliche Verhandlung im Rahmen von Gerichtsverfahren wird jedenfalls schon durch § 84 VwGO gewährleistet, der den Anspruch auf mündliche Verhandlung entweder bei dem Ausgangsgericht oder im Berufungsverfahren eröffnet und somit auch Art. 6 EMRK Rechnung trägt.
Es wird angeregt, für das Disziplinarklageverfahren eine dem § 39 Abs. 2 S. 2 LDG entsprechende Kostenregelung zu schaffen. Durch den Verweis auf die Verwaltungsgerichtsordnung in § 76 a Abs. 1 LRiG (Entwurfsfassung) gelten die Kostenvorschriften der §§ 154 ff. VwGO auch für das Disziplinarklageverfahren. Nach § 154 Abs. 1 VwGO muss dann der betroffene Richter die Kosten des Verfahrens tragen, wenn das Gericht gemäß § 76 a Abs. 3 Satz 2 LRiG (Entwurfsfassung) auf eine Disziplinarmaßnahme erkennt. Dies ist unbillig, wenn die Maßnahme nur auf einzelnen der ihm zur Last gelegten Handlungen beruht. § 39 Abs. 2 Satz 2 LDG nimmt diesen Gedanken auf und regelt ihn für den Ausspruch einer Disziplinarmaßnahem durch Disziplinarverfügung im behördlichen Verfahren. Da diese Vorschrift für das gerichtliche Verfahren nicht direkt anwendbar ist, sollte eine entsprechende Kostenregelung für das gerichtliche Verfahren geschaffen werden.
5. Dass der Gesetzentwurf keine Bildung eines Hauptrichterrats vorsieht, findet unsere volle Billigung und Unterstützung. Wie wir bereits in unserem Antrittsbesuch bei Ihnen im vergangenen Jahr ausgeführt haben (vgl. BDVR-Rundschreiben 4/2011, Seite 177), können wir uns eine Stufenvertretung in Form eines Bezirksrichterrats beim VGH vorstellen, weil es für Maßnahmen auf dieser Ebene bislang keine wirksame Mitbestimmung gibt. Einen Hauptrichterrat lehnen wir nach derzeitigem Stand dagegen ab. Ein Hauptrichterrat als gemeinsame Vertretung aller Richter im Land läge nicht im Interesse der Verwaltungsgerichtsbarkeit, weil in einem solchen Gremium die spezifischen Interessen unserer Fachgerichtsbarkeit in den Hintergrund gedrängt würden und die Gefahr bestünde, dass unsere Vertreter überstimmt werden. Ferner sind wir gegen eine Zusammenlegung von Präsidialrat und Richterrat nach dem Vorbild eines Personalrats für Beamte, wie sie von anderen Landesverbänden des BDVR gefordert wird. Aus unserer Sicht darf in keinem Fall der Präsidialrat geschwächt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christian Heckel Richter am VGH
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