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Mitgliederbrief Oktober 2011

 

 

 

Sigmaringen im Oktober 2011

 

An die Mitglieder

 

 

 

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

seit meinem Mitgliederbrief vom Januar haben wir einen neuen Richterwahlausschuss und eine neue Landesregierung bekommen. Hierzu möchte ich Sie informieren.

 

 

1. Im Frühjahr wurde ein neuer Richterwahlausschuss gewählt.

 

Für die Wahl der ständigen richterlichen Mitglieder dieses Gremiums hatten wir keinen Kandidaten aufgestellt, da man für diese Wahl zum ständigen richterlichen Mitglied (bei 1.802 wahlberechtigten Mitgliedern und 1.254 Wählern) über 500 Stimmen braucht.

 

Für die Wahl der nichtständigen richterlichen Mitglieder des Richterwahlausschusses in der Verwaltungsgerichtsbarkeit hatten wir Herrn VRaVG Stefan Röck (Sigmaringen), Herrn RaVGH Klein (Mannheim) und Herrn RaVG Knorr (Freiburg) vorgeschlagen. Als nichtständige richterliche Mitglieder der Verwaltungsgerichtsbarkeit wurden (bei 148 Wahlberechtigten und 134 Wählern) Herr Röck und Herr Klein mit jeweils 70 Stimmen gewählt, als deren Vertreter Herr Knorr mit 54 Stimmen und vom Wahlvorschlag der Neuen Richtervereinigung Frau Leven (Freiburg) mit 52 Stimmen. Damit hat sich unsere Überlegung im Vorstand als richtig erwiesen, diesmal vom Verein aus drei Kandidaten aufzustellen. Wir dürfen gespannt sein, ob sie etwas zu entscheiden bekommen.

 

Mein Dank gilt Ihnen, dass Sie sich an der Wahl – mit einer höheren Wahlbeteiligung als im Landesdurchschnitt – beteiligt und dass Sie die Kandidaten des Vereins unterstützt haben. Sie zeigen damit, dass Sie sich, wie schon bei der letzten Präsidialratswahl, in hohem Maße von den Vereinsvertretern repräsentiert fühlen.

 

 

2. Bei den Koalitionsverhandlungen der grün-roten Landtagsmehrheit im Frühjahr fiel das Justizressort an die SPD. Am 12. Mai dieses Jahres wurde Rainer Stickelberger zum Justizminister des Landes Baden-Württemberg gewählt und am 15. Juni Frau Bettina Limperg (zuvor Vizepräsidentin des LG Stuttgart) zur Ministerialdirektorin ernannt.

 

Herr Stickelberger ist den älteren Mitgliedern teilweise als Kollege bekannt, er war von 1979 bis 1984 Richter an den Verwaltungsgerichten Freiburg und Karlsruhe. Seit 2001 ist er Mitglied des Landtags, als rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion hat er – als einziges Landtagsmitglied – den Kontakt mit uns gesucht. Er hat den Verein mehrfach um Stellungnahmen angefragt, einmal waren Herr Epe und ich auch zu einer Expertenanhörung Gast bei ihm in der Landtagsfraktion. Nun hat er zusammen mit der neuen Ministerialdirektorin den Vereinsvorstand zu einem zweistündigen Antrittsbesuch eingeladen.

 

An Themen wurde zunächst die Zusammenlegung von Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit angesprochen, mit der auf lange Sicht nicht zu rechnen ist.

 

Sodann ging es um die Bereinigung der Rechtswegzuständigkeiten im Verwaltungsrecht an, die seit fünf Jahren vom BDVR, vom Vereinsvorstand und vom VGH-Präsidenten immer wieder an das Ministerium herangetragen wurde. Wir haben auf die Erklärung des BDVR-Vorsitzenden Dr. Heydemann vom Juni 2011 und die Beschlüsse der Justizministerkonferenz vom Juni 2005 und Juni 2008 hingewiesen, in denen diese sich für eine Bereinigung des Systems der Rechtswegzuweisungen eingesetzt hat. Mit Herrn Minister Stickelberger bestand Einigkeit darüber, dass öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nach Möglichkeit in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallen sollten. Er sicherte uns zu, sich bei Gelegenheit für die Übertragung öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten an die Verwaltungsgerichte einzusetzen, jedenfalls aber in einer „zweiten Verteidigungslinie“ gegen eine weitere Erosion von Zuständigkeiten bzw. deren Wechsel hin zur ordentlichen Gerichtsbarkeit zu kämpfen.

 

Ferner haben wir die vermehrte Verkürzung des Rechtswegs durch Inanspruchnahme der Oberverwaltungsgerichte oder gar des Bundesverwaltungsgerichts als erste Instanz kritisiert. Minister Stickelberger will sich dafür einsetzen, dass die lokal oder regional in einem Bundesland angesiedelten Streitfälle auch erstinstanzlich im Land – also wenigstens durch den VGH als Eingangsgericht – entschieden werden.

 

Vor Entscheidungen zum Thema Mediation will Minister Stickelberger zunächst abwarten, bis das Mediationsgesetz in Kraft getreten ist. Im Hinblick auf die Vorbehalte aus der Zivilgerichtsbarkeit haben wir darauf hingewiesen, dass sich eine gerichtliche Mediation von Vergleichsbemühungen – auch wenn diese Elemente der Mediation enthalten – strukturell wesentlich unterscheidet und dass der Verwaltungsprozess gegenüber dem Zivilprozess Besonderheiten aufweist. Daher kann das Angebot einer gerichtlichen Mediation bei uns auch dann sinnvoll sein, wenn man es für den Zivilprozess ablehnt. Sie kann den Bürger in Einzelfällen besser einbeziehen, ihm die Ohnmachtsgefühle nehmen und damit die Akzeptanz staatlicher Entscheidungen fördern. Dies liegt eigentlich sowohl auf der Linie des neuen Ministerpräsidenten wie auch der Bundes-SPD. Der Verein vertritt weiterhin die Ansicht, dass eine Streitschlichtung innerhalb der rechtsstaatlichen Verfahren, also auch eine gerichtliche Mediation, gewollt ist und möglich bleiben soll.

 

Pläne zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens bestehen in der neuen Landesregierung (noch) nicht. Minister Stickelberger und wir waren uns einig, dass weder das Justizministerium noch der Verein von sich aus dieses Thema aufgreifen. Wir haben hierzu gegebenenfalls um frühzeitige Beteiligung durch das Justizministerium gebeten, da der ehemalige Innenminister auf Schreiben des Vereins nicht geantwortet hat. Wir haben vorsorglich darauf hingewiesen, dass es in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hierzu inzwischen mehrjährige Erfahrungen – auch zur Auswirkung auf die Zahl der Gerichtsverfahren – gibt, die vor Gesetzgebungsschritten ausgewertet werden sollten. In den vergangenen Jahren hat der Verein mehrfach betont, dass es rechtspolitisch verfehlt ist, die generelle Abschaffung eines bürgerfreundlichen Rechtsbehelfs von kurzfristigen Belastungsschwankungen einzelner Behörden- oder Gerichtszweige abhängig zu machen. Auch müssen die Funktionen des Widerspruchsverfahrens vor einer Abschaffung näher untersucht werden. Selbst wenn die Innenverwaltung wegen Arbeitsüberlastung und Stellenabbau Abstriche bei der gründlichen Selbstkontrolle der Verwaltung machen muss und die statistische Auswertung der Erfahrungen anderer Bundesländer zeigt, dass die Abschaffung des Vorverfahrens langfristig nur zu einer geringen Mehrbelastung der Gerichte führt, bleibt noch die Rechtsschutzfunktion im Blick zu halten. Das Widerspruchsverfahren ist ein bürgernaher und bürgerfreundlicher Rechtsbehelf, der für den Betroffenen ortsnah, zeitnah und kostengünstig ist, ihm eine Zweckmäßigkeitskontrolle gibt und eine hohe „Befriedungsquote“ hat. Auch hier ist – wie schon oben bei der Mediation – an die Grundsätze sozialdemokratischer und grüner  Rechtspolitik nach Stuttgart 21 zu erinnern, die Bürgerbeteiligung statt Ohnmachtsgefühlen anstrebt. Der Zugang zum Gericht wurde dem Bürger auch dadurch erschwert, dass er seit einigen Jahren nicht mehr zur Fristwahrung Klage erheben kann, ohne (bei Klagerücknahme) auf Gerichtskosten sitzen zu bleiben.

 

Zur Besoldung haben wir die Forderungen des BDVR nach einer einheitlichen und angemessenen Richteralimentation vorgetragen und weiter darauf hingewiesen, dass die Besoldung eigentlich den Einkünften eines Rechtsanwalts mit vergleichbarer Qualifikation entsprechen müsste, deren Niveau sie seit längerem – und zunehmend – nicht mehr erreicht. Kritisch angesprochen wurde auch die 4%ige Absenkung der Eingangsbesoldung. Auch in meiner Stellungnahme vom 24.08.2011 zum Entwurf des Gesetzes zur Einbeziehung von Lebenspartnerschaften in ehebezogene Regelungen des öffentlichen Dienstrechts habe ich gegenüber dem Finanz- und Wirtschaftsministerium auf die sich fortsetzende Benachteiligung der Richterschaft bei der Besoldung hingewiesen. Minister Stickelberger äußerte seine grundsätzliche Sympathie für unsere Positionen. Er bekannte allerdings, dass er in der nächsten Haushaltsrunde keinen Spielraum für Verbesserungen, sondern Kürzungsforderungen auch für das Justizressort auf sich zukommen sehe, weil die Landesregierung das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts verfolge.   

 

In der Richterschaft wurde in den vergangenen Monaten immer wieder davon gesprochen, dass das Ministerium Überlegungen zu einem Personalentwicklungskonzept in der Justiz anstelle. Hierzu erfuhren wir, dass dies nur den nichtrichterlichen Bereich betreffe, während im richterlichen Bereich keine Neuerungen geplant seien.

 

Das Konzept des Deutschen Richterbundes zur Selbstverwaltung lehnt Minister Stickelberger ab, unter anderem weil die Justiz seiner Meinung nach durch ein eigenes Ministerium im Kabinett vertreten sein muss, um ihre Interessen gegenüber dem Landtag und Finanzministerium durchsetzen zu können. Aus dem Landtag habe er die Erfahrung, dass gesellschaftliche Gruppen ohne eine solche Vertretung im Parlament zwar angehört würden, ihre Interessen aber letztlich nicht wirksam einbringen könnten. Der Vorstand hat dem zugestimmt, nicht zuletzt weil wir als kleine Fachgerichtsbarkeit in einem Selbstverwaltungsgremium gegenüber den Kollegen aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit immer in der Minderheit bleiben und bei Interessenkonflikten überstimmt werden können.

 

Stattdessen kann sich Minister Stickelberger eine Stärkung der richterlichen Mitbestimmung vorstellen. Hierzu hat er aber noch keine konkreten Pläne und ist an der Meinung der Richterverbände interessiert. Im Raum stehen zum einen weitere Mitwirkungsbefugnisse des Präsidialrats, zum Beispiel die Zustimmung zu Abordnungen, insbesondere an den VGH; und zum anderen die Einführung einer Stufenvertretung mit Bezirksrichterrat beim VGH und Hauptrichterrat als Vertretungsorgan für alle Richter auf Landesebene. Wir haben uns gegenüber einer Stärkung der richterlichen Mitbestimmung sehr offen gezeigt und auf zwei Punkte hingewiesen, die uns ausgesprochen wichtig sind.

 

Aus unserer Sicht darf in keinem Fall der Präsidialrat geschwächt werden. Deshalb sind wir auch gegen eine Zusammenlegung von Präsidialrat und Richterrat nach dem Vorbild eines Personalrats für Beamte, wie sie von anderen Landesverbänden des BDVR gefordert wird. Gegen eine Beteiligung des Präsidialrates bei Entscheidungen über Abordnungen, insbesondere an den VGH, ist nichts einzuwenden. Der Verein hat auch nichts gegen Überlegungen, den Präsidialrat bei der Aufstellung der Liste der zu Bundesrichtern wählbaren Kandidaten aus dem Land zu beteiligen. Die Beteiligung an Einstellungen dürfte hingegen kaum in Betracht kommen, weil der Präsidialrat dann selbst Auswahlgespräche führen und Beurteilungen vornehmen müsste, was er bisher nicht als seine Aufgabe ansieht.

 

Für eine Stärkung der Richtervertretung haben wir uns offen gezeigt. Eine Stufenvertretung in Form eines Bezirksrichterrats beim VGH können wir uns gut vorstellen, weil es für Maßnahmen auf dieser Ebene bislang keine wirksame Mitbestimmung gibt. Einen Hauptrichterrat lehnen wir nach derzeitigem Stand dagegen eher ab. Ein Hauptrichterrat als gemeinsame Vertretung aller Richter im Land würde aus der Sicht des Vorstands eher nicht im Interesse der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegen, wenn in einem solchen Gremium die spezifischen Interessen unserer Fachgerichtsbarkeit in den Hintergrund gedrängt würden oder die Gefahr bestünde, dass unsere Vertreter überstimmt werden.

 

 

Ihnen alles Gute für den Jahresendspurt und freundliche Grüße

Ihr Christian Heckel